Hey du Liebe*r,
ich schreibe dir heute mit einer Mischung aus Freude und Neugier, denn ich möchten mit dir tiefer in ein Thema eintauchen, das mir am Herzen liegt: Dein Nervensystem. Vielleicht hast du schon einmal vom Sympathikus und Parasympathikus gehört – sie sind ein Teil unseres autonomen Nervensystems und wirken wie zwei Seiten einer Medaille. Der eine bringt uns in Schwung, der andere hilft uns, zur Ruhe zu kommen. Klingt nachvollziehbar, oder?
Doch manchmal fühlt es sich an, als ob wir feststecken – vielleicht bist du in einem ständigen „Funktions-Modus“, in dem du das Gefühl hast, leisten zu müssen, und schwer abschalten kannst. Oder du fühlst dich oft erschöpft, wie in einem „Standby-Modus“, und weißt nicht genau, wie du wieder in deine Kraft kommst. Hier kommt die Polyvagal-Theorie ins Spiel – ein spannender Ansatz, der uns noch besser verstehen lässt, wie wir unser Nervensystem regulieren und in Balance bringen können.
Aber eines ist ganz wichtig: Es geht nicht darum, in einem bestimmten Zustand zu verweilen oder nur Entspannung zu erreichen (das ist faktisch garnicht möglich). Vielmehr ist mein Wunsch, deine Fähigkeit zu stärken, zu beobachten, was in dir vorgeht, und zu verstehen, wie dein Körper auf unterschiedliche Situationen reagiert. Dieses Bewusstsein ermöglicht es dir, dein Erleben einzuordnen und liebevoll mit dir selbst umzugehen, egal, in welchem Zustand du dich gerade befindest.
Die Polyvagal-Theorie: Dein Nervensystem verstehen
Die Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges beschreibt, dass unser Nervensystem nicht nur zwei Modi (Sympathikus und Parasympathikus) hat, sondern dass es einen dritten wichtigen Teil gibt: den ventralen Vagus, der für Sicherheit und soziale Bindung zuständig ist. Dieser Vagus-Ast ist Teil des sozialen Nervensystems, das uns hilft, auf eine Weise aktiv zu sein, die mit innerer Ruhe und Verbundenheit einhergeht. Wenn der ventrale Vagus aktiv ist, fühlst du dich sicher, ruhig und verbunden – mit dir selbst und mit anderen. Du bist in der Lage, in Bewegung zu sein und gleichzeitig in dir selbst verankert zu bleiben.
In Stresssituationen kann es jedoch passieren, dass du aus diesem Zustand des „Verankert-Seins“ herauskommst und in den Überlebensmodus (Fight, Flight, Freeze) wechselst. Jeder Mensch hat dabei eine individuelle Präferenz für den Überlebensmodus, den er instinktiv nutzt. Hierdurch entstehen unterschiedliche Reaktionsmuster, wenn Situationen sich bedrohlich anfühlen. Vielleicht merkst du auch, während du gerade diese Zeilen liest, dass du dich nur ganz selten verankert fühlst. Das ist so eine wertvolle Erkenntnis. Anzuerkennen wo du gerade stehst, ist der erste und wichtigste Schritt.
Die Rolle des sozialen Nervensystems: Verbundenheit und Sicherheit
Das soziale Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk aus Hirnstrukturen und Nerven, die dafür zuständig sind, dass wir uns in sicheren, sozialen Kontexten wohlfühlen und in Resonanz mit anderen stehen können. Der ventrale Vagus ist dabei ein zentraler Teil des sozialen Nervensystems. Er sorgt physiologisch für die Regulierung von Herzfrequenz und Atemrhythmus, sodass wir uns sicher und entspannt fühlen und offen für soziale Bindung sind.
Wenn dein ventraler Vagus aktiviert ist, erfährst du das Gefühl von sicherer Verbundenheit, ohne dass das Gefühl von großer Anspannung oder Bedrohung entsteht. Dein soziales Nervensystem arbeitet hierbei in Balance und ermöglicht dir, in Kontakt mit dir und deiner Umwelt zu bleiben. Dieses Zusammenspiel sorgt dafür, dass du nicht nur ruhig, sondern auch im Moment und handlungsfähig sein kannst.
Der Sympathikus: verbundene Aktivität oder Anspannung
Wenn der Sympathikus aktiviert ist und gleichzeitig der ventrale Vagus in Aktion tritt, erleben wir einen Zustand der verbundenen Aktivität. Das bedeutet, dass wir uns in einem Zustand von erhöhter Wachsamkeit und Energie befinden, aber gleichzeitig mit uns selbst und unserer Umgebung verbunden sind. In diesem Zustand fühlen wir uns lebendig, klar, fokussiert und handlungsfähig, aber ohne übermäßigen Stress. Unser Nervensystem ist in einer gesunden Balance, bei der wir Energie mobilisieren, um Aufgaben zu bewältigen oder auf Herausforderungen zu reagieren – dabei bleibt jedoch ein Gefühl der inneren Sicherheit erhalten. Du könntest diesen Zustand als positiven Stress oder Motivation beschreiben: Dein Körper ist bereit, aktiv zu werden, aber du fühlst dich immer noch ruhig genug, um die Situation zu meistern.
Wenn der Sympathikus aktiviert ist, aber der ventrale Vagus nicht aktiv ist, bewegen wir uns in einen Zustand von Übererregung, der oft mit Stress, Anspannung und dem Gefühl der Überwältigung verbunden ist. Dies ist der typische „Fight-or-Flight“-Modus, in dem unser Körper darauf vorbereitet ist, entweder zu kämpfen oder zu fliehen.
In diesem Zustand fühlen wir uns oft überfordert, unruhig und angespannt. Unser Herz schlägt schneller, der Atem wird flacher, und wir sind in Alarmbereitschaft. Doch im Gegensatz zur „verbundenen Aktivität“ fehlt uns hier das Gefühl von Sicherheit und innerer Ruhe. Alles fühlt sich hektisch oder bedrohlich an, und unser Nervensystem ist auf Überleben eingestellt, anstatt uns zu erlauben, ruhig und klar zu handeln. Hier eine kleine Visualisierung, um den Unterschied ein bisschen besser greifen zu können:
Der Parasympathikus (Dorsale Vagus): Erholung oder Isolation
Wenn der dorsale und der ventrale Vagus (beides Teile des parasympathischen Nervensystems) aktiv sind, können wir uns bewusst und verbunden erholen – wir fühlen uns sicher, im Kontakt mit uns selbst und anderen, und schöpfen neue Energie. Diesen Zustand erfährtst du in der Meditation, Schlaf, Yin Yoga oder bei der Massage. Du bist ganz ruhig & entspannt und fühlst dich wohl.
Doch wenn wir uns nicht sicher fühlen – sei es aufgrund von Stress, Trauma oder Triggern – kann es passieren, dass auch hier der ventrale Vagus heruntergefahren wird. In solchen Momenten übernimmt der dorsale Vagus, und wir fallen in einen Zustand von Rückzug und Inaktivität. Der dorsale Vagus ist verantwortlich für den „Shut-Down-Modus“ – eine Überlebensstrategie, die uns in einen Zustand der Immobilisation versetzt. In diesem Zustand fühlen wir uns oft emotional und körperlich abgeschnitten, erschöpft und unfähig, in Kontakt mit uns selbst oder anderen zu treten. Es ist eine Erfahrung des sich-abgetrennt-fühlens, in der wir nicht mehr handlungsfähig sind, uns überfordert oder sogar wie „gelähmt“ fühlen lässt.
Dein Nervensystem in Gleichgewicht bringen
Wenn dein soziales Nervensystem aktiv ist, kannst du dich bewusst und verbunden erleben – du fühlst dich sicher, im Kontakt mit dir selbst und anderen, und schöpfst neue Energie. In Stresssituationen, wenn du dich nicht sicher fühlst, kann es passieren, dass du dich entweder im Sympathikus (Übererregung, starke Aktivierung) oder im dorsalen Vagus (Erschöpfung, Rückzug) bewegst. Die Übung liegt darin, uns in den verschiedenen Zuständen zu beobachten und den ventralen Vagus zu stärken, damit wir auch in herausfordernden Situationen unser Erleben beobachten und damit besser in Verbindung bleiben können.
Noch einmal: Es geht nicht darum, in stressigen Momenten im Zustand der Ruhe oder Entspannung zu sein. Dein Nervensystem hat die Fähigkeit flexibel zu sein und das ist gut so! Vielmehr ist es entscheidend, zu verstehen, in welchem Zustand du dich gerade befindest, diesen anzuerkennen, nachvollziehen zu können und mit deinem Nervensystem zu arbeiten, anstatt gegen dich.
10 Tipps, um deinen Vagusnerv zu stimulieren und dein Nervensystem zu regulieren
Bewusstes Atmen: Dein Atem ist ein kraftvolles Werkzeug. Langsame, tiefe Atemzüge, besonders durch die Nase und mit Fokus auf das lange Ausatmen, stimulieren den Vagusnerv und helfen dir, dich zu beruhigen. Eine tolle Atmung ist beispiels weise die 4-zu-8 Atmung
Singen oder Summen: Der Vagusnerv verläuft auch durch den Hals, und das Singen oder Summen kann ihn aktivieren. Wähle dein Lieblingslied oder summ einfach eine sanfte Melodie.
Kalte Duschen: Ein kurzer Kälteschock (z.B. kaltes Wasser auf das Gesicht oder eine kalte Dusche) stimuliert den Vagusnerv und hilft deinem Körper, sich zu regulieren.
Yoga und sanfte Bewegungen: Yoga, besonders Übungen wie die tiefe Vorbeuge oder der „herabschauende Hund“, hilft dabei, den Vagusnerv zu beruhigen und das Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Auch ein Spaziergang in der Natur kann einen ganz großen Shift bringen. Geh dem nach, was dich für dich natürlich und intuitiv anfühlt!
Vagusnerv-Massage: Du kannst sanft deinen Nacken und den Bereich in und hinter den Ohren massieren, wo der Vagusnerv entlangläuft. Diese einfache Selbstfürsorge-Praxis kann dich sofort entspannen.
Verlangsamung (bsp. Achtsames Essen): Oft sind wir im Alltag richtig schnell unterwegs. So schnell, dass es nur schwer möglich ist in die Ruhe zu gelangen. Bewusstes Verlangsamen und eine Veränderung der Geschwindigkeit kann Druck rausnehmen und Präsenz einladen. Wenn du bsp. langsam und bewusst isst, unterstützt du deinen Parasympathikus und damit auch den Vagusnerv. Nimm dir Zeit für deine Mahlzeiten, spüre den Geschmack und genieße jeden Bissen.
Visualisierung oder Autogenes Training: Stelle dir einen sicheren Ort vor – vielleicht einen Wald, einen Strand oder einen Ort, an dem du dich vollkommen geborgen fühlst. Diese Visualisierung kann dir helfen, dich sicherer und entspannter zu fühlen. Schau doch mal auf Youtube!
Soziale Verbindung: Gespräche mit Freunden oder Familie, die dir guttun, helfen dabei, den ventralen Vagus zu aktivieren. Soziale Bindungen (Co-Regulation) sind für unser Nervensystem und unser Überleben zentral und daher enorm beruhigend.
Progressive Muskelentspannung: Diese Technik hilft, Anspannung im Körper abzubauen und den Vagusnerv zu stimulieren, indem du verschiedene Muskelgruppen anspannst und wieder loslässt. Hier gibt es auf Youtube auch wieder ganz viele Videos.
Meditation oder Berührung: Meditationen, die sich auf Mitgefühl und Dankbarkeit konzentrieren, können dich in einen Zustand der Ruhe und Verbundenheit bringen. Das ist jedoch nicht immer der Fall - wenn du stark aktiviert bist und ein hohes Stresslevel hast, kann es sein, dass das Gegenteil passiert. Vielleicht ist dem Fall eine eingetsimmte Berührung hilfreicher für dein System.
Wie fühlt es dich an die watme Hand auf dein Herz zu legen, sanften Druck in deine Oberarme zu geben? Auch darauf kannst du meditieren, und die Berührung als Tool benutzen, um dich wahrzunehmen und zu spüren.
Wie bereits erwähnt - vertraue der Sprache deines Körpers, anstatt zu versuchen eine Methode zu übernehmen, die nicht wirklich in dir anklingt. Dein Körper und das was du in bestimmtem Momenten brauchst ist so invidividuell wie du selbst!
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